Gürteltiere legen täglich bis zu 1,2 km zurück. Die Corona-Leine, mit dem 15-km-Radius, ist ihnen demnach völlig Schnuppe. Doch uns Menschen treffen solche Maßnahmen hart. Reisen sind nicht mehr möglich. Nur noch virtuell. Und genau das machen wir heute. Wir reisen durch unser Foto-Archiv. Glaub mir, es gibt viel zu entdecken! Über die Vergangenheit. Über die Entwicklung. Über uns.
Drei Fragen wollen wir gemeinsam klären. Der Ablauf ist wie folgt: Ich schreibe die Fragen auf, du beantwortest sie in den Kommentaren:
Wie hast du früher fotografiert?
Was war dein erstes »geplantes« Foto?
Wie hat die Fotografie dein Leben verändert?
Und da du das sowieso nicht machst, beantworte ich die Fragen einfach selbst. Ist das ein Deal? Gut, dann legen wir los.
1. Wie hast du früher fotografiert?
Hätte ich früher einen Blog gehabt, hätte ich diese Frage ignoriert. Stattdessen hätte ich davon erzählt, dass ein rostiger Nagel ein denkbar schlechter Start ist. Vor allem wenn er im Reifen eines Airbus A320 steckt. Eine typische Blogografie-Story:
Der Abflug verzögert sich um zwei Stunden. In Frankfurt verpassen wir den Anschlussflug nach Los Angeles. Es folgen sechs Stunden Wartezeit in der Lufthansa-Lounge und eine Umbuchung auf einen Direktflug nach New York. Dort angekommen, »übernachten« wir für zwei Stunden in einem Hotel am John F. Kennedy International Airport. 5:00 Uhr Weiterflug in einer ziemlich abgewrackten Maschine von American Airlines. 28 Stunden ohne Schlaf, dafür mit schmerzlichen neun Stunden Zeitverschiebung im Nacken, stehen wir in L.A. in einer riesigen Halle voller Mietwagen. Alle Schlüssel stecken. Alle Autos sind offen. Doch welcher ist unserer? »You can take any car!«, ruft ein Mitarbeiter. Wir steigen in einen weißen Dodge. Ich starte den Motor und fahre fünf Stunden monoton auf der Interstate 15. Bis nach Las Vegas.
Danach: Erschöpfung. Zwei Tage Tiefschlaf. »you’re welcome«
Aber die Frage hieß nicht; »wie habe ich früher blogografiert«, sondern:
»Wie habe ich früher fotografiert«
Ganz einfach: Es hatte mit Fotografie nichts zu tun. Es war grauenhaft. Knippsig. Technisch schlecht. Automatikmodus. Etwa so hier:
Was auffällig ist: ich habe früher deutlich weniger fotografiert. In Summe nur 286 Fotos, auf einem dreiwöchigen Roadtrip durch fünf Bundesstaaten im Westen der USA. Heute undenkbar.
Schau bitte mal in deinem Foto-Archiv nach. Wie war das früher bei deinen Reisen? Achte mal auf die Gesamtzahl der Bilder und wie sie von Jahr zu Jahr gestiegen ist.
Dafür war früher alles irgendwie freier. Unbefangener. Keine Smartphones. Kein Social Media. Wir haben einfach die Aussicht genossen.
Würde man heute zum Grand Canyon reisen, wäre man innerlich zerrissen: Ist die vier Jahre alte Kamera dafür noch gut genug? Reichen 36 Megapixel wirklich aus? Sind drei Objektive nicht viel zu wenig? Darf man da mit der Drohne fliegen? Habe ich Handyempfang? Technische Zwänge. Künstliche Begehrlichkeiten. Und der Drang, alles sofort mit der Welt teilen zu müssen.
Offensichtlich kann ich die Frage, wie ich früher fotografiert habe, damit beantworten, dass die Fotos deutlich schlechter waren. Die Emotionen dafür echter. Die Erinnerungen an die Situationen vor Ort sind für mich präsenter, als die Wust der Eindrücke aus >50.000 Fotos im Lightroom-Katalog, die sich kein Mensch mehr anguckt.
2. Was war dein erstes »geplantes« Foto?
Wenn man das eigene Bild-Archiv durchforstet, merkt man, dass die Fotos im Laufe der Zeit besser geworden sind. Nicht zwingend weil die Kameras leistungsfähiger sind, sondern weil man bewusster fotografiert. Zumindest ging es mir so. Plötzlich hat man sich fürs Licht und eine passende Komposition interessiert.
Es war die Erkenntnis, dass man den Automatik-Modus verlassen muss. Und dann kam sie doch; die technische Verliebtheit. Die guten Vorsätze sind dahin. Jetzt geht es nur noch um Blendenwerte, ISO-Rauschen und Bildbearbeitung.
Das Reisen war nicht mehr so unbeschwert wie früher. Schließlich ist man jetzt Fotograf! Schnell merkt man, dass genau das zum Problem wird, wenn es nur noch ums perfekte Foto geht. Das geht den Mitmenschen nämlich schnell auf den Keks!
Also sucht man nach neuen Chancen. Dienstreisen zum Beispiel, die man an schöne Orte bindet und »zufällig« die Kamera dabei hat. So geschehen im Jahre 2012, mit einem DAAD-Stipendium in Sydney. Mit der Nikon D90 begannen hier meine ersten »richtigen« Fotos. Blue Mountains statt Harz. Und am Ende ein Roadtrip durch New South Wales, wo die Leidenschaft zur Landschaftsfotografie entfacht ist.
Doch schnell machte sich Ernüchterung breit. Es gab zwar damals noch keinen Social-Media-Konkurrenzdruck, aber dennoch fand ich meine Fotos immer nur mittelmäßig.
Es folgten weitere Dienstreisen. Ein Vortrag auf einer Konferenz. Doch ich dachte nur an den Feierabend. Hinter meinem 29 EUR Stativ von Hama fühlte ich mich wie ein echter Fotograf. Nachts in den Straßen von Dublin. Es fährt ein Bus vorbei. Ich mache eine Langzeitbelichtung und freue mich wie ein kleines Kind.
Doch meine Landschaftsfotos blieben schlecht. Ich versuchte es mit neuen Objektiven zu kompensieren. Ohne Erfolg.
Also habe ich stundenlang in Photoshop verbracht, um alles Wissen aus fast 200 Lernvideos anzuwenden. Ohne an das Offensichtliche zu denken: Das Licht.
Erst 2015 habe ich die Landschaftsfotografie so richtig verinnerlicht. Plötzlich stand ich ganz gezielt zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Auch wenn mir die Bearbeitung der alten Bilder nicht mehr gefällt, so war dieses hier wohl mein erstes geplantes Foto:
3. Wie hat die Fotografie dein Leben verändert?
Eine provokante Fragestellung. In erster Linie hat sie »lediglich« meine Freizeitgestaltung beeinflusst. Leider nicht immer nur positiv. Man ist in seiner Blase gefangen, ohne es zu merken. Licht und Schatten hängen nicht nur in der Fotografie nah zusammen. Wenn man Urlaubsreisen mit der Familie zu einer Fotoreise kombiniert, ist dieser Plan schnell zum Scheitern verurteilt. Konflikte sind vorprogrammiert. Die fotogenen Spots, tief in den Bergwelten Norwegens harmonieren leider nur selten mit dem Badeurlaub am Mittelmeerstrand. Früher habe ich darunter gelitten, vor allem in der Sturm-und-Drang-phase, mit der Gründung meines Blogs und dem Social-Media-Hype, bei dem man als junger Familienvater einfach nicht mithalten kann.
Heute habe ich meinen Frieden gefunden. Ich fotografiere am Wochenende Sonnenaufgänge im Harz und verbringe die Freizeit mit meinen Kindern auf dem Spielplatz. Die »echte« Fotografie wird in einer jährlichen Fotoreise ausgelebt. Auf Dienstreisen habe ich noch immer meine Kamera dabei. Auch wenn sie Corona-bedingt schon lange nicht mehr stattgefunden haben. Doch fotografieren kann man überall. Es muss nicht Patagonien sein. Manchmal reicht ein unspektakulärer Sonnenaufgang in Düsseldorf, den man gegen das Hotelfrühstück eingetauscht hat.
Am Ende steht für mich die Erkenntnis, dass ich noch immer sehr gern fotografiere, aber ohne den Drang zu verspüren, die Fotos öffentlich zeigen zu »müssen«. Deshalb hab ich in den letzten zwei Jahren deutlich weniger gepostet und bin trotzdem glücklicher 🙂
Und jetzt bist du gefragt! Wie war das bei dir früher, als du die Fotografie noch nicht verinnerlicht hast? Waren deine Reisen anders? Oder bist du über die Fotografie erst zum Reisen gekommen? Was waren deine ersten Fotos? Wie hat sich dein Leben durch die Fotografie verändert?
Kommentar
Hallo Thomas,
was bleibt übrig. Milliarden von Photos, und ich rechne da noch nicht mal den wirklichen Schrott,
füllen die Festplatten und interessieren eigentlich nur uns Fotografen selber. Kurzes Interesse unserer uns Nahestehenden oder einer Fotocommunity aus was für Gründen nicht ausgeschlossen. Für unsere Nachfahren sollte jeder einzelne vor seinem Ableben eine Quintessenz, vornehmlich von handwerklich vorzüglichen zeitdokumentierender Reportagephotos (Familie, Umwelt) für die Nachwelt in einem ausgesuchtem Medium zur Erinnerung haben. 10 auch noch so schöne Fotos vom Graufiltergefrorenen See mit Bootssteg gehören da nicht rein. Mir hat dein Artikel von der Herangehensweise sehr gut gefallen. Viele Grüße Torsten
PS: Letzte Woche habe ich mir einen Graufilter für mein 12mm gekauft 😉
PS die 2. : Bei Magnumphotos mit Photos aus 10 Jahrzehnten wird mir nie langweilig, bei vielen gegenwärtigen Fotoplattformen nach wenigen Minuten.