Der Darßer Weststrand ist ein magischer Ort, vor allem zum Sonnenuntergang. Einsamkeit, gepaart mit rauer Natur. Kilometerlange, fast unberührte Ostsee-Strände. Dazu ein alter Leuchtturm. Ein Paradies; nicht nur für Fotografen.
Im heutigen Beitrag geht es mit dem Fahrrad von Zingst zum Darßer Ort, um den Sonnenuntergang am Weststrand zu fotografieren. Und da echtes fotografieren im Familienurlaub immer eine Gratwanderung ist, beschreibe ich ein wenig die Herausforderungen. Von der Last-Minute-Planung, bis zur Motivsuche vor Ort. Drum lasset uns schmunzelnd durch den Beitrag steppen. Die Fotografie wird den Tag schon retten.
Die Situation
Wir liegen auf einer blau-weiß gepunkteten Decke am Strand. Die Kinder streiten sich spielen. Es ist 18:22 Uhr. Die Sonne steht tief über der Seebrücke von Zingst. Kreischen am Himmel. Eine Möwe startet zum Sinkflug. Im Visier: die Salami-Pizza des Pärchens gegenüber. Sicher die gleiche Piraten-Möwe, die meinem Sohn gestern das Eis aus der Hand gerissen hat.
Generell lässt sich sagen: Es ist laut. Es ist voll. Das Wetter könnte besser sein. Willkommen in den Sommerferien an der Ostsee.
Die Wunschvorstellung
Jetzt an einem einsamen unberührten Strand sein. Den Sonnenuntergang fotografieren. Am liebsten am Weststrand, da wo der Leuchtturm steht. Er befindet sich an der nördlichsten Landzunge der Halbinsel Darß, wo man nur zu Fuß oder mit dem Fahrrad hinkommt.
Die Herausforderungen
Wir sind heute bereits 30 km mit dem Rad gefahren. Die Kinder haben keine Lust mehr. Die Kamera liegt in der Ferienwohnung. Das Abendessen steht noch auf dem Plan. Und meine Frau weiß von nichts 🙂
Wie passt das alles zusammen?
Die Planungsphase
Während ich die Speisekarte vom Italiener studiere, die Kinder wollen unbedingt Spaghetti Carbonara essen, switche ich heimlich zu Google Maps.
Der Leuchtturm am Weststrand steht beim Darßer Ort. Das sind 42 Minuten mit dem Rad. Sonnenuntergang ist um 20:46 Uhr.
Um das halbwegs ohne Herzinfarkt zu schaffen, müsste ich spätestens 19:45 Uhr los. Bedeutet: Wir müssten innerhalb der nächsten fünf Minuten den Strand verlassen. Und im Restaurant darf es nicht zu voll sein. Oder, noch besser! Idealerweise ist es voll, wir bekommen keinen Tisch mehr und bestellen einfach zum Mitnehmen. Dann essen wir in der Ferienwohnung und ich schleiche mich heimlich davon.
Klingt nach einem guten Plan?
Die Praxis
19:15 Uhr: Ankunft am Italiener. Rammelvoll. (Perfekt!). Nachdem wir fünf Minuten nutzlos am Eingang stehen, erbarmt sich ein Mitarbeiter unsere Bestellung aufzunehmen. »Zum Mitnehmen bitte!« Kontaktlose Zahlung via Smartphone. *kling* Erledigt. »Dauert 20 Minuten«, sagt er. Im Kopf rechne ich die Zeiten hoch. Knapp, aber noch im Rahmen.
»Kinder, wollt ihr schon in die Ferienwohnung, dann müsst ihr nicht warten?«
Gefragt, getan. Jetzt noch fix den Tisch decken, die Kinder zum Duschen überreden und nebenbei den Kamerarucksack packen. Und dann schnell zurück zum Italiener.
19:35 Uhr: »Nehmen Sie bitte noch kurz Platz«. Wie jetzt? *Minuten werden zu Stunden*. Doch dann ist alles fertig. Zurück zur Ferienwohnung. »Wie spät ist es?«, frage ich meinen Sohn. „19:51 Uhr, warum?“. Jetzt oder nie. Ich erkläre meiner Frau den Plan. Zwei Stück Pizza später verlasse ich die Ferienwohnung. Allein. Unten wartet das Trekkingbike vom Radverleih um die Ecke. Ein Stück Freiheit für 8 € am Tag.
Mit dem Fahrrad zum Darßer Ort
Mit 51min Puffer zum Sonnenuntergang schnalle ich meinen Rucksack am Fahrradkorb fest. Die Reise beginnt. Dramatische Wolken. Die Sonne im Gegenlicht. Vollgas. Meine Smartwatch zeigt 28,8 km/h an. Doch gefühlt komme ich keinen Meter voran. Der Weg auf dem Deich fühlt sich endlos an.
20:18 Uhr: Ich erreiche den Ort Prerow. Die Hälfte der Strecke ist geschafft. Plötzlich beginnt es zu regnen. Auch das noch! Habe ich die Regenjacke überhaupt im Rucksack? Egal. Keine Zeit zum Anhalten. Der Leuchtturm am Darßer Ort wartet (nicht).
Doch schon bald enden die schnellen, asphaltierten Wegen. Der Wald beginnt. Der Vorteil vom Trekking-Rad stagniert. Die Reifen sind schmaler als die Brennweite meines Ultraweitwinkel-Objektivs. Und dennoch peitsche ich bei Nieselregen im Rekordtempo durch den Matsch.
20:27 Uhr: Ankunft im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft. Der Leuchtturmweg beginnt. Wohin er führt ist selbsterklärend. Dass er einer Schlammgrube gleicht, macht die Sache aber nicht leichter.
So erreiche ich den Weststrand definitiv nicht mehr zum Sonnenuntergang. Was nun?
Hoffnungsvoll schaue ich auf den kleinen Wanderweg, der sich rechts der Strecke langschlängelt. Er ist meine letzte Hoffnung. Nur das Schild am Eingang ist ein Spielverderber.
Entweder ich hab das Schild zufällig übersehen, oder die Tour endet hier. Bitte nicht nachmachen.
Ankunft am Darßer Ort
20:42 Uhr erreiche ich den Darßer Ort. Seit 30 Minuten habe ich keine Menschenseele mehr gesehen. Herrlich. Der Fahrradparkplatz ist komplett leer.
Nun aber schnell zum Weststrand. Es bleiben nur noch vier Minuten bis die Sonne verschwunden ist.
In Turnschuhen geht es durch den tiefen weißen Sand. Er durchdringt meine Socken und staut sich zwischen meinen Zehen. Wie Sandpapier. Doch der Blick entschädigt. Ein kurzes Foto mit dem Smartphone, zum Absetzen des Rucksacks bleibt (natürlich) keine Zeit.
Fotografieren am Darßer Weststrand
Mit wenigen Minuten Zeit im Nacken beginnen die echten Probleme. Wie finde ich möglichst schnell das ultimative Motiv? Diese Herausforderung kennt jeder Fotograf. Schauen wir uns die Situation vor Ort also gemeinsam an.
Frontal aufs Meer zu fotografieren macht wenig Sinn. Es sind zwar dramatische Wolken am Himmel, aber der erhoffte Sonnenuntergang ist leider nicht in Sicht. Es ist eher grau. Keine Sonne. Schade.
Ich laufe den Strand einige Meter entlang und suche nach einem spannenden Vordergrund. Denn Vordergrund macht […] ach, sinnlose Floskel. Sagen wir lieber:
Wer verzweifelt den Vordergrund sucht, hat den Strand einfach zu spät besucht.
Äste als Vordergrund
In der endlosen Weite finde ich ein paar Äste am Strand und positioniere mich dahinter. Mit dem Ultraweitwinkel-Objektiv versuche ich möglichst nah ranzukommen.
Aber das Motiv überzeugt mich nicht. Ich finde keine führende Linie. Es ist keine sinnvolle Komposition.
Den Weg zum Strand fotografieren
Wenn man den passenden Vordergrund nicht findet, hilft zur Not ein einfacher Trick: Zeige den Weg zum Strand. Führe den Betrachter ins Bild. Genau das machen wir jetzt, weil das immer funktioniert.
Die Sache hat nur einen Haken: Man darf die Dünen nicht betreten. Wir sind mitten im Nationalpark. Das macht es kompliziert.
Also schnell zurück zum offiziellen Strand-Zugang, wo ich vor 10 Minuten angekommen bin. Stativ aufstellen. Intervallaufnahme starten. Ein Foto pro Sekunde. Besser als jeder Selbstauslöser. So hat man genug Möglichkeiten sich „zufällig“ selbstinszeniert ins Bild zu mogeln, als würde man verträumt aufs Meer schauen.
Wie bereits angedeutet, ist der erhoffte Sonnenuntergang ausgeblieben. Oder ich war eben doch zu spät. Mittlerweile ist es schon 21:10 Uhr.
Was ich übrigens jetzt erst beim Schreiben bemerke, an der Situation aber nichts ändert: Ich hatte in der PhotoPills-App noch die Koordinaten vom Österreich-Urlaub hinterlegt. Somit ist der geplante Sonnenuntergang um 20:46 Uhr in den Alpen berechnet. Hier am Weststrand ist aber erst 21:16 Uhr Sonnenuntergang.
Immer wieder putzig, dass mir selbst nach 12 Jahren Fotografie noch immer solche Fehler passieren. Doch selbst 21:20 Uhr war von der Sonne nichts zu sehen. Darum widmen wir uns zum Abschluss noch dem Leuchtturm.
Den Leuchtturm am Darßer Ort fotografieren
Der 35 Meter hohe Leuchtturm wurde von 1847-1848 errichtet und ist einer der ältesten an der deutschen Ostseeküste. Er ist aber eher ein Motiv zum Sonnenaufgang. Ich nehme ihn dennoch mit aufs Bild. Mit dem Tele-Objektiv kann man ihn gut vom Strand aus fotografieren, ohne die Dünen zu betreten.
Doch irgendwie gehört ein Leuchturm an den Strand, deshalb gefällt mir der Blick vom Strandzugang am besten. Nur heute nicht, bei diesem trostlosen Wetter.
Die Dämmerung setzt ein. Zeit zu gehen, bevor Rotkäppchen vom Gürteltier im Wald gefressen wird. Es liegen noch 45min Rückweg vor mir.
Die Heimreise mit dem Rad
Man könnte meinen, der Beitrag endet hier. Doch die echten Abenteuer beginnen am Rand der Komfortzone. Es wird schneller dunkel als gedacht. Dazu das schwache Licht am Rad, im tiefen Wald, bei erneutem Regen. Und die entscheidende Frage: Wo geht’s eigentlich zurück?
Es sind die klassischen Momente, wo man zum Handy greift. Und dann kein Netz hat 🙂
Schon die letzten drei Tage hatte Vodafone massive Internet-Störungen. Nun lädt gar nichts mehr. Doch nach 20 Minuten endet der Wald. Ich komme irgendwo raus. Doch in welche Richtung geht es zurück nach Zingst? Es dürften doch nur noch um die 5 km sein. Aber das Ortsausgangsschild suggeriert, dass es 9 km bis zum nächsten Ort sind, der aber nicht Zingst heißt.
Also hoffe ich auf einen BreseWITZ, folge der Straße; und tatsächlich: Nach drei Kilometern kommt die Abbiegung nach Zingst. Zurück auf Kurs. Zurück zur Familie.
Fazit
Der Weststrand ist ein toller Ort zum Fotografieren. Nur heute nicht! Ich hoffe du hattest dennoch ein wenig Spaß beim Lesen und Lust es fotografisch besser zu machen. Den passenden Ort kennst du jetzt. Viel Spaß!
12 Kommentare
Das Lesen und Bilderberichten hat Spaß gemacht! Ein Bericht aus der Realität! Der Ort ist wohl kein geeigneter Ort zur Hauptreisezeit! Pizzeria, Strand. Dennoch, wohl ein gutes Reiseziel in der Nebensaison.
Hallo Volker,
wir waren zum 5. Mal in Zingst und trotz der Masse an Menschen, war es sicher nicht der letzte Besuch dieser Art. Wir sind allerdings auch eher die Fans der Nebensaison, doch auch im Hochsommer findet man sein Plätzchen. Je weiter man von der Seebrücke entfernt ist, desto ruhiger wird es.
Der Darßer Weststrand hat, wie Daniel oben geschrieben, den Vorteil, dass man sich den Weg erarbeiten muss. Im südlichen Teil vom Weststrand sieht die Sache schon anders aus. Hier kann man mit dem Auto bis zum Parkplatz „Drei Eichen“ fahren und hat dann nur noch 10-15min Fußweg bis zum Weststrand. Entsprechend ist es dort auch voller. Läuft man von dort aus den Weststrand Richtung Norden, findet man aber viele hübsche Bäume, die halb im Wasser liegen. Ein schönes Motiv.
Schön, wieder von Dir zu lesen! 🙂 Zingst und der Darßer Leuchtturm sind toll. Mir gefiel besonders, dass man nicht bequem mit dem Auto direkt zum Leuchtturm fahren kann, sondern ihn sich mit dem Rad oder zu Fuß erarbeiten muss. (Ich klammere die Pferdekutschen einfach mal aus 😀 )Meer, Strand, Dünen… was will man mehr? Außer vielleicht noch gutes Licht, wenn man fotografieren will.
Leider liegt Zingst für uns 700km weit weg. Da wird es dann doch eher die niederländische Nordsee mit 270km Entfernung.
Ein toller Reisebericht aus dem richtigen Leben. 🙂
Hi Daniel!
Freut mich dass du mir die Treue gehalten hast. Ich gebe dir recht, Ziele die sich nur mit Mühe erreichen lassen, sind die besseren Erlebnisse 🙂
Aber klar, 700m Strecke sind ne lange Tour. Kann verstehen dass du die Nordsee dann eher ansteuerst. Nachteil: Ständig ist das Wasser beim Baden weg :-p
Schön und authentisch zu lesen 😊 mit dem Plan einen Sonnenuntergang zu fotografieren ist ja immer etwas “abenteuer” verbunden. Die besten Ergebnisse hatte ich bis jetzt an der Nordseeküste in Dänemark 🇩🇰
Dänemark steht auch auf der Liste 🙂
Hallo Thomas,
nach etwas längerer Abstinenz mal wieder bei Dir vorbeigeschaut…..Und was soll ich sagen?….Hab mich wieder an Deinem Schreibstil ergötzt und für 5 min die Zeit vergessen…..Herrlich. Einfach nur herrlich. Das „Zielfoto“ ist nur mäßig, sorry, aber das Wetter gab halt leider nicht mehr her. Aber Deine Art diesen Blog zu schreiben ist einfach nur….herrlich.
Bitte bleib uns erhalten ….wenns auch mit dem Fotografieren ab und zu mal nicht so klappt. Danke.
Grüsse aus dem verregneten Schwabenland
Hallo Wolfgang,
schön dass du noch dabei bist 🙂
Man kann sich immer viel vornehmen, aber am Ende entscheidet eben das Wetter über Erfolg oder Misserfolg. Es war mir aber wichtig, auch mal über die eher mäßigen Fotos zu sprechen. Das wird in der bunten, stets perfekten Instagram-Welt meist verdrängt.
In diesem Sinne: wir lesen uns. Schön dass du an meinen Texten deine Freude hast.
Gruß
Thomas
Wirklich super geschrieben, ich habe mich irgendwie wieder erkannt 😉
Musste immer wieder schmunzeln, wer kennt es nicht, man kommt an den Fotospot von dem man schon so viele tolle Fotos gesehen hat und dann ist man über-/unterfordert eine Komposition zu finden oder das Wetter ist nicht so wie man es sich in dem schmalen Urlaubszeitfenster erträumt hat!
Hi Torsten,
Landschaftsfotografie ist eben abseits der bunten, perfekten Welt auf Instagram stets eine Kette von Enttäuschungen. Doch irgendwann kommt er, der ultimative Sonnenuntergang 🙂
Aber dann hat man sicher die Kinder auf dem Rücken und die Kamera liegt daheim … wie das Leben eben spielt 🙂
Hallo Thomas,
beim Lesen dieses wundervollen Beitrags habe ich so schmunzeln müssen. Ich habe mich so wieder erkannt in der Rolle als Papa / Ehemann und Hobbyfotograf der sich zum Sonnenuntergang abhetzt. Ich bekomme immer noch die Frage gestellt und konntest du schöne Fotos machen. Naja meistens ist es schwierig so schnell noch den coolen Spot am doch so unbekannten Fotospot zu finden. Ich fühle deinen Beitrag so. Wir waren letztes Jahr im Frühjahr in Zingst, leider hab ich es bisher nicht geschafft all meine Beiträge fertigzustellen und zu veröffentlichen.
Viele Grüße aus der Nordheide
Andreas
Hey Andreas!
Schön von dir zu hören, es war eine Weile ruhig um uns beide 😉
Aber da wir in einer ähnlichen Situation sind, haben wir dafür natürlich vollstes Verständnis.
In diesem Sinne: Versuch die Reisen aufzuarbeiten und schreib die passenden Beiträge. Ich schaue ganz bestimmt vorbei.
Gruß
Thomas