Keine Sorge! Das ist kein typischer 0815-Text, wo ein halbwissender Amateurprofi (putziges Wort) dir die Grundlagen der Fotografie erklären möchte. Was die Brennweite ist, weißt du natürlich! Dachte ich auch. Dann musste ich es einem Freund erklären und sagte:
»Die Brennweite ist quasi der Zoom und bestimmt den Bildausschnitt; also was du auf dem Foto siehst. Bei 20 mm bekommst du viel drauf. Nennt sich Weitwinkel. Wird die Zahl größer, z.B. 200 mm, bist du im Telebereich und damit ganz nah am Motiv dran«.
Aber dann wollte er es genauer wissen:
Verstanden. Aber was bedeutet die Zahl genau? Was sind 20 mm? Ist das die Größe vom Objektiv?
Und schon wird es schwammig! Mein Halbwissen wedelt mit der Fahne. Cool wie ich bin, schnappe ich mir mein Gürteltier und sage: »Das erkläre ich dir später, wir müssen los«.
Aber nun sitze ich hier, allein vorm Computer. Es ist 23:56 Uhr. Nur du liest mit. Wir sind also unter uns. Kannst du es erklären? Nicht ganz? Okay. Dann lass uns gemeinsam laut denken. Ich tippe für dich den Text.
Die Brennweite erklären: Was sind diese 20 mm?
Ist das vielleicht die Größe vom Objektiv? Oder geht es um die Linse? Falls ja, welche? Die Frontlinse? Oder die hinten am Objektiv? Und was genau? Länge? Breite? Durchmesser?
Finden wir raus! Ich habe das Lineal in der Hand. Mein 20-mm-Objektiv hat hinten 30 mm Durchmesser. Mein 50 mm aber auch! Hmm. Das kann es nicht sein.
Vielleicht die Länge?
Hmm. Mein 20-mm-Objektiv ist länger als das 50er? Obwohl 20 mm die kürzere Brennweite sind? Man könnte jetzt denken es läge an der Blende. Aber beide Festbrennweiten haben f/1.8. Verrückt.
Wir müssen das klären. Bitte lass es uns verstehen. Gemeinsam!
Was ist die Brennweite?
Schauen wir kurz was Wikipedia sagt:
Die Brennweite ist der Abstand zwischen der Hauptebene einer optischen Linse oder eines gewölbten Spiegels und dem Fokus (Brennpunkt).
Ich hasse solche Definitionen. Das versteht doch kein Mensch! Bin ich etwa Wissenschaftler? Ja, eigentlich schon. Oh je. Das war die falsche Frage. Aber gut. Zerlegen wir die Definition in Blogografie-Deutsch.
»Die Brennweite ist der Abstand […]«
Es geht also um eine Entfernung. 20 mm Abstand. Aber zwischen was? Das ist die Frage.
Die Rede war von der »Hauptebene einer optischen Linse«. Beamten-Deutsch? Ist das vielleicht die Linse vom Objektiv, wo du ständig mit deinem alten Brillenputztuch den Dreck wegwischst? Vorher hauchst du das Objektiv noch an und ärgerst dich, weil du nicht in die gewölbten Ecken kommst? Anderes Thema. Und leider falsch!
Gemeint ist hier das Innere vom Objektiv, die optischen Linsen am Ende. Ich male das gleich mal auf. Aber erst müssen wir klären, was der zweite Punkt sein soll. Denn den Abstand müssen wir zwischen zwei Punkten messen. Laut Definition soll es der »Fokus« sein. Und in Klammern steht noch Brennpunkt? Der Fokus ist doch das, wo man scharfstellt? Jetzt bin ich verwirrter als ich je zugeben würde.
Was ist der Brennpunkt?
Die Feuerstelle am Lagerfeuer? Du bist mir zu sehr Outdoor-Fotograf! Jetzt konzentrier dich endlich mal. Mittlerweile ist es 00:48 Uhr, ich muss morgen 6 Uhr aufstehen. Ich male das jetzt auf. Ein Bild sagt bekanntlich mehr als tausend Blogger.
Und bevor sich jetzt ein paar Oberschlaue bei mir melden: Hier steckt ganz bewusst mein Nikon-Objektiv an einer analogen Praktica aus den 70er-Jahren. Dieser Widerspruch soll verdeutlichen, dass es sich nur um eine schematische Darstellung handelt. Wir sind hier nicht im Physik-Leistungskurs!
Was sagt uns diese Abbildung? Nun: Die Hauptebene habe ich als Hauptlinse (gelb) bezeichnet, denn sie steckt im Objektiv. Trifft Licht auf diese Ebene, wird es auf den Kamerasensor (blau) weitergeleitet. An der Stelle, wo sich die eintreffenden Lichtstrahlen kreuzen, ist der Brennpunkt (rot).
Die Brennweite ist nun nichts anderes als der Abstand zwischen der Hauptlinse und dem Brennpunkt. In diesem Fall 2 cm = 20 mm. Eine kurze Distanz, die dafür sorgt, dass wir einen großen Bildausschnitt bekommen. Das finale Bild vom Gürteltier sieht so aus:
Bei einem Teleobjektiv (hier das 70-200 mm) ist der Abstand / die Brennweite entsprechend länger. Eigentlich ganz einfach.
Übrigens: Wenn du den Autofokus deiner Kamera betätigst oder am Fokusring (Zoom) drehst, verschiebt sich die Position der Hauptlinse vor und zurück. An der Brennweite ändert das aber nichts. Der Abstand bleibt immer gleich.
Bei 200 mm Brennweite ist das Gürteltier natürlich deutlich größer und lediglich als Ausschnitt im Bild sichtbar.
Und noch was: Steht der Fokus auf unendlich, liegt der Brennpunkt auf dem Kamerasensor. Er muss sich nicht zwingend im inneren des Objektivs befinden.
Falls du also beim nächsten Mal am Grill stehst, den Spiritus schon reingekippt hast, aber kein Feuerzeug zur Hand hast: Nimm einfach dein Teleobjektiv! Dreh den Fokus auf unendlich, halte es in die pralle Mittagssonne und lass die Kohlen glühen. Aber denk dran, dass du danach vermutlich Kohle für ein neues Objektiv brauchst 😉
2 Kommentare
Schöne Erklärung, da hast du mich aber auch erwischt. Studiumsbedingt sollte ich das sogar eigentlich wissen und durch das Hobby Fotografie kann ich mir schon ewig ganz konkret was unter den Zahlen vorstellen. Und jetzt kam ich auch erstmal ins Grübeln, worauf sich diese Millimeterangabe eigentlich bezieht…
Hallo Thomas
Danke für die gut nachvollziehbare Erklärung.
Jetzt hab ich mein Canon 100-400 mal gemessen. Die Länge ist nur ca. 30cm also equivalent zu 300 mm. wo die Hauptlinse liegt weiss ich ja nicht. Aber ich frage mich wo kommen die zusätzlichen 100mm Brennweite her. (Natürlich hab ich da eine Idee, finde aber auf die Schnelle keine passende Grafik dafür auf dem Netz). Kannst Du so eine Grafik nachliefern?