»Achtung! Sicherheitsbereich. Bitte treten sie vom Gebäude zurück!«, tönt es grell und unüberhörbar aus dem Lautsprecher. Es ist Sonntag, 06:31 Uhr. Ich stehe am Parkplatz der Rappbodetalsperre und fühle mich wie ein Schwerverbrecher. Bewaffnet mit meiner Kamera, möchte ich aber lediglich den Sonnenaufgang fotografieren.
Die Sicherheitswarnungen kommen vom Hauptgebäude des Harzdrenalin, wo man Tickets für die Hängebrücke und Megazipline kaufen kann. Ich bin aber nicht käuflich. Und schon gar nicht um die Uhrzeit. Mit reichlich Abstand laufe ich am Gebäude vorbei. Links davon beginnt ein kleines Waldstück. Hier ist der offizielle Wanderweg zum Aussichtspunkt an der Rappbodetalsperre. Genau darum soll es heute gehen.
Die Hängebrücke »Titan-RT«
Neben der Aussichtsplattform an der Rappbodetalsperre befindet sich auch der Eingang zur Hängebrücke: Titan-RT. Die längste ihrer Art, mit sagenhaften 458,5 Metern.
In 75m Höhe (die Webseite sagt sogar 100m) kann man hier über das Rappbodetal spazieren. Egal welche Zahl stimmt; Das ist höher als die Golden Gate Bridge! Zuletzt war ich hier vor drei Jahren, mit Stephan Wiesner, als sie gerade frisch eröffnet wurde. Die Titan-RT, nicht die Golden Gate Bridge 😉
Mittlerweile ist die Hängebrücke eines der touristischen Highlights im Harz geworden. Was sich vor allem an der Parkplatz-Situation bemerkbar macht. Aktuell laufen aber Bauarbeiten für einen größeren Parkplatz, um dieses Problem in den Griff zu bekommen.
Die Rappbodetalsperre bei Nacht
Am Abend ist die Brücke beleuchtet, was vor allem bei Nebel ein interessantes Motiv ergibt.
Die dezente Brückenbeleuchtung gewährleistet auch nach Sonnenuntergang eine sichere Überquerung. Das klappt natürlich nur im Herbst/Winter, wenn es zeitig genug dunkel wird. So wie jetzt. Nur leider ist die Brücke Corona-bedingt geschlossen. Wie alles. Außer die Blende.
Sonnenaufgang an der Rappbodetalsperre
Doch wozu in der Vergangenheit schwelgen oder gar die Gegenwart zu verfluchen. Heute bin ich zum Sonnenaufgang an der Rappbodetalsperre. Allein. Und wieder stehe ich an der Aussichtsplattform. Mit Blick auf die höchste Staumauer Deutschlands.
In wenigen Minuten steigt die Sonne auf. Ich hoffe auf einen schönen, kitschigen Sonnenstern. Dafür habe ich extra mein geliebtes Nikkor 20mm f/1.8 aufgeschnallt. Und während ich in der PhotoPills-App nochmal den Verlauf der Sonne checke, bemerke ich einen entgangenen Anruf. Von Alex, der in der Nähe ebenfalls den Sonnenaufgang fotografiert. Wir hatten uns gegen 05:00 Uhr zufällig auf der A14 gesehen und freundlich zugewunken.
Aber telefonieren? Fehlanzeige. Keine Chance bei »Wo-da-Phone«. Phone hab ich. Netz nicht. Logisch! Während man auf den Färöer-Inseln auf jedem Berggipfel mit vollem LTE-Empfang durch die Instagram-Story blättern kann, ist man im Harz permanent offline. Selbst die Wahrscheinlichkeit in Blankenburg bei McDonalds einen Luchs zu treffen, der gerade genüsslich einen McFlurry verspeist, ist 80x höher als die Netzabdeckung im Harz. Volatiler als die Packung Belgische Meeresfrüchte, die gerade vor mir liegt und den Abend wohl kaum überleben wird. Willkommen in Deutschland.
Doch vergessen wir die Sonne nicht! Jetzt endlich schiebt sie sich über den Horizont. Die Kamera steht auf dem Stativ. 20mm Brennweite. Blende 11. Kitsch let’s go!
Doch bereits nach wenigen Minuten ist die Show vorbei. Das schnöde Tageslicht besiedelt den Himmel. Ich packe zusammen. Dann aber wieder aus! Du kennst das vielleicht: Wenn man beim Fotografieren ständig das Gefühl hat, man könne etwas verpassen, weil die Lichtstimmung doch nicht sooo schlecht ist. Also noch fix ein Panorama aus der Hand. Schadet ja nicht.
Und ja, wozu hab ich eigentlich das 24-70mm f/2.8 mitgeschleppt? Okay. Linse drauf. Und nochmal ein Foto mit 70mm.
Dann bemerke ich, dass ich nicht mehr allein bin. Drei hippe Wanderinnen, in kurzen Hosen nähern sich. Sie versuchen krampfhaft, sich für ein Selfie an der Hängebrücke zu positionieren. Die Sonne im Rücken, versuche ich unbemerkt vorbei zu huschen. Hätte fast geklappt.
Hey! Huhu. Halt. Komm mal her […]
Sie bitten mich ein Foto von Ihnen zu machen. Mit dem Smartphone, wie es sich gehört. Sie sind extra zeitig aufgestanden um den Sonnenaufgang zu erleben. Akzeptiert. Fotografiert. Alle sind glücklich. Ich muss weiter.
Abfahrt
Ich verlasse den Aussichtspunkt und steige auf meinen Roller. Die Sonne strahlt jetzt wunderschön auf die bunt gefärbten Bäume. Ideale Bedingungen für eine Luftaufnahme. Mit der Drohne? Das der Wind heute absolut brutal ist und auf der Straße bereits umgeknickte Bäume lagen, interessiert mich wenig.
Die Drohne versenkt im Rappbodetal?
Ich brauche Herbstfotos! Aus der Luft. Auf die Mavic Air war bisher immer Verlass. Und »war« ist ein gutes Stichwort:
Denn ist der Wind zu stark, schafft es die Drohne (meine Tochter nennt sie liebevoll »Zitrone«) nicht mehr zurück zum Ausgangsort. Und genau das ist mir heute passiert. Normalerweise schalte ich dann in den Sportmodus: 75km/h. Das reicht immer. Außer heute. Die Mavic Air bewegt sich kein Stück. Ich gebe Vollgas. 10 Sekunden. 2 Meter sind geschafft. Entfernung aber noch 250 m Meter. Restakku 6 Minuten. Das wird eng.
Ich entschließe mich zum Sinkflug, um im Windschatten der Staumauer zu landen.
Dann reißt plötzlich das Signal ab. Schwarzer Bildschirm auf dem iPhone. Ein Neustart der »DJI GO 4«-App schafft keine Abhilfe. Ich löse das Kabel zum Smartphone. Starte sogar die Fernbedienung neu. Nichts passiert!
Letzte Chance: Die Return-to-Home-Taste. Normalerweise kommt dann ein nervig lauter Piepton und die Drohne fliegt automatisch zurück. Doch heute? Fehlanzeige. Die LED leuchtet rot. Kein Signal. Keine Reaktion.
Hektisch laufe ich zur Staumauer und blicke hinunter ins Staubecken. Nichts zu sehen. Nichts zu hören. Völlige Stille.
Schon verrückt. Mit der Mavic Air bin ich schon bei orkanartigen Böen auf den Lofoten geflogen, über dem Atlantik und im Hagelsturm! Bei eisigen Minustemperaturen auf Berggipfeln in den Alpen. Überall. Und nun versagt die Drohne im Harz. Vor der Haustür. Wie uncool. Ein tragischer Tod. So wie damals unsere DJI Phantom 3 beim ersten Flug. Sie ist gegen eine Hauswand geknallt (siehe Video). Totalschaden.
Was solls. Dafür freue ich mich, dass mein Handy nun doch 1 Balken LTE-Netz anzeigt. Ich lege schon mal die neue Mavic Air 2 in den Amazon-Warenkorb. Dann packe ich zusammen, setze den Helm auf und starte den Roller zur Heimreise.
Und dann passiert es. Am Ende der Staumauer höre ich plötzlich ein vertrautes Surren am Himmel. Ich klappe das Visier hoch. Da ist sie! Meine Drohne. Genau neben mir. Ich parke den Roller auf dem Fußweg. Die Mavic Air landet eigenständig. Genau neben mir. Als wäre nichts gewesen.
Willkommen daheim, klein Mavic’lein. Auf viele weitere Jahre mit dir.
Fazit
Ende gut, alles gut. Sogar Bilder gut? Die Rappbodetalsperre inkl. der längsten Hängebrücke ist definitiv einer der Top-Fotospots im Harz. Schau also gern mal vorbei, wenn du in der Nähe bist. Oder nimm es dir explizit vor. Ich hoffe dieser Beitrag konnte dich ein wenig inspirieren und unterhalten. Denn neben der Fotografie geht es ja letztlich vor allem ums Abenteuer. Und dazu muss man nicht weit reisen. Das Gute liegt oft so nah. In meinem Fall der Harz. Exakt 222,2 km bin ich gefahren. Ein lohnenswerter Ausflug, für ein paar nette Fotos. Und sogar die Mavic Air hat es (wieder) überlebt 🙂
12 Kommentare
Hallo Thomas,
Es ist immer wieder ein Vergnügen, deine abenteuerlichen Fotoreisen beim Lesen zu begleiten. Ich war schon einige Male an der Rappbodetalsperre, um das ein oder andere Abenteuer zu erleben. Jedoch (noch) nicht in fotografischer Hinsicht. Durch deine Fotos nimmt man diesen Ort mit einem ganz neuen Blickwinkel wahr. Vielen Dank für diese Inspiration! 🙂
Franzi, hi! Was machst du denn um diese Uhrzeit noch auf meinem Blog?
Freut mich dass es dir gefallen hat. Für das echte Abenteuer muss man offensichtlich nicht zwingend die Harzdrenalin Megazipline besteigen 😉
Ein schöner Fotospot. Zumindest bei Sonnenuntergängen habe ich mittlerweile gelernt, dass die tollen Farben häufig kommen, wenn die Sonne schon untergegangen ist und dass sich immer auch ein Blick in die entgegengesetzte Richtung lohnt, weil sich da der Himmel manchmal sogar spektakulärer verfärbt… 🙂
Hallo Daniel,
es war zwar in dem Fall der Sonnenaufgang, aber ja; du hast recht. Man sollte stets beide Richtungen im Auge behalten.
An der Rappbodetalsperre jedoch schwer zu realisieren, weil man vom Aussichtspunkt quasi den Wald im Rücken hat 😉
Hallo Thomas,
schöne Bilder! Beim Verraten von Fotospots habe ich immer das schlechte Gefühl., einen Wandertourismus auszulösen, bekannt von anderen Medien. Bildunterschrift reicht!
Gruß Volker
Hallo Volker,
im Ansatz gebe ich dir vollkommen Recht! Es ist immer ein harter Spagat zwischen der Liebe für die Natur und den negativen Folgen die durch den Massentourismus ausgelöst werden.
Wobei ich zu meiner Verteidigung sagen muss: Die Rappbodetalsperre ist durch die Hängebrücke zu einem der überregional bekannten Highlight im Harz geworden. Der Fotospot selbst ist damit etwa genau so ein Geheimtipp wie das Brandenburger Tor in Berlin 😉
Und auch der Zugang selbst ist von Menschen geschaffen. Die Brücke aus Metall, die Mauer aus Beton, die Straße asphaltiert.
Aber ja, auch ich trage meinen Teil dazu bei.
Gruß
Thomas
Hallo Thomas, die Geschichte ist wieder sehr schön geschrieben.
Zum Schmunzeln und auch sehr, sehr spannend der Teil mit der verloren geglaubten Drohne.
Liebe Grüße, Anja 🙂
Danke Anja 🙂
Hey Thomas!
Die Talsperre samt Harz sind auch noch auf meiner Bucketlist. Vielleicht ja nächsten Herbst. 🙂
Und Glückwunsch zur geretteten Air! Ich habe auch immer ein bisschen Bammel über Wasser, obwohl ich eigentlich weiß, was die gute kann…
LG Niklas
Hey Niklas,
die Rappbodetalsperre macht sich auch gut in der Milchstraßen-Saison. Es muss nicht zwingend der Herbst sein 😉
Und ja, die Air über Wasser. Stille Wasser sind bekanntlich tief – oder so ähnlich.
Bis bald, spätestens im nächsten Beitrag.
Gruß
Thomas
Schön ist auch, wenn du 75 Meter über dem Atlantik auf einer bretonischen Klippe stehst, die Drohne irgendwo 50 Meter unter dir herumschwirrt und dann der Bildschirm schwarz wird und das Federvieh nicht mehr auf Steuerbefehle reagiert. Kann ich jedem nur wärmstens ans Herz legen, der sich entfernt für ungeplante Adrenalin-Schübe interessiert. 🙂 Umso größer die Erleichterung, wenn es wie von Geisterhand plötzlich vor dir summt und deine Drohne dich zufrieden anlächelt.
Auch dieses Gefühl ist mir bestens vertraut, zuletzt vorgefallen auf den Lofoten 🙂
Aber gut zu wissen dass es auch anderen Piloten so geht. Hi Ben!