Wir sind immer noch auf Island, zumindest hier im Blogbeitrag. Vor mir ist der Lightroom-Katalog geöffnet und ich versuche anhand von 4.228 Fotos meine Gedanken an Tag 4 bis 6 auf Island zu rekonstruieren. Legen wir los!
Tag 4: Von Staðarskáli nach Ólafsfjörður
Wie immer gilt: Vergiss die Ortsnamen, du kannst sie sowieso nicht aussprechen. Wir sind im Norden Islands unterwegs und der ist verhältnismäßig unspektakulär. Zwei Torfkirchen liegen auf der Strecke, nett anzuschauen, aber Shift+CMD+E nicht wert.
EDIT: Mich haben jetzt zwei Leser auf Facebook gefragt, was bitte eine Torfkirche sein soll. Nein es ist kein Tippfehler, ich meine nicht die Dorfkirche. Und nein es heißt auch nicht »mit der Kirche ums Torf«, wie mir Anja mit Ironie unterjubeln wollte. Es sind tatsächlich Kirchen, deren Seitenwände aus Torf bestehen und das Dach mit Gras bedeckt ist. Die bekannteste ist die Víðimýrarkirkja, hier ist ein Foto davon:
Zurück zum Text. Falls Du den Nerdwitz mit Shift+CMD+E nicht verstanden hast, Glückwunsch, damit exportiert man in Lightroom die Fotos. So flach wie meine Witze ist Island aber nicht: Es geht endlos bergauf und -ab.
Wir verlassen heute die Ringstraße und folgen der B75 in Richtung Norden. Unser Ziel ist Ólafsfjörður, doch vor uns liegen zwei Tunnel, mit sieben Kilometern Länge. »Ja und? Fahr doch durch«, denkst du jetzt vielleicht. Habe ich gemacht. Nach 100 Metern bin ich stehengeblieben. Aus Angst! Es gibt nur eine Spur – die gleichzeitig vom Gegenverkehr genutzt wird!
Doch wir jagen einem Fotospot entgegen. In Dalvík steht ein idyllisches Häuschen am Wasser, was ich gern in meinem Portfolio haben möchte.
Doch so einsam wie das Haus dort steht, ist auch die Region. Wir haben sogar Probleme unsere Unterkunft zu finden. Gebucht haben wir das Gistihús Jóa, doch unser Navi führt uns zu einem Haus mit der Aufschrift Kaffi Klara. Seltsam. Ich durchsuche die Booking.com-App nach Fotos vom Gästehaus. »Das muss es aber sein«, rufe ich Pino zu. Wir betreten das Café, es riecht nach frischem Kuchen – egal was ich da gebucht habe, hier sind wir richtig, denke ich mir. Und tatsächlich, ohne etwas zu sagen, werde ich mit meinem Namen begrüßt. Wir sind die einzigen Gäste.
Es ist nichts los, gar nichts! Und es ist erst früher Nachmittag. Es grenzt fast schon an Langeweile – ein Gefühl, dass ich zuletzt vor 37 Jahren verspürt habe, als ich mit der Nabelschnur im Mutterleib gedöst habe. Darum fahren wir schnurstracks weiter. Doch ich kann mich nicht mehr fürs Fotografieren begeistern, Pino schon, ich will nur noch weg von hier.
In der Dunkelheit kehren wir zurück ins Gästehaus und laden die restlichen Sachen aus. Wir sind noch immer allein, es ist ein wenig gruselig.
Angekommen im Zimmer, hören wir plötzlich komische Geräusche. Es scheint jemand auf dem Gang zu sein, die Tür zum Gemeinschaftsbad wird geöffnet. Wir verhalten uns ruhig. Kurz darauf checkt Pino die Lage. Er findet ein blutiges Handtuch im Bad und einige Blutspritzer auf dem Boden. Die ideale Story für einen Horrorfilm, was immer auch passiert, es ist gut für den Blogbeitrag, denke ich mir.
Tag 5: Ólafsfjörður nach Reykjahlíð
Leider passiert nichts. Der nächste Tag beginnt mit Regen; eine leichte Depression macht sich breit. Plötzlich sehne ich mich sogar nach dem Massentourismus. Am Straßenrand treffe ich ein paar Schafe. Ich steige aus und wir gucken uns einige Minuten schweigend an.
Dann ist alles gesagt. Wir fahren zurück in die Zivilisation, zurück auf die Ringstraße.
Goðafoss
Der Regen verzieht sich und in diesem Moment erreichen wir einen Wasserfall – den Goðafoss. Ich nutze die Chance, klettere übers Geländer, begebe mich natürlich nicht in Gefahr (*hust*) und spüre, wie mir die Gischt ins Gesicht sprüht. Erquickend.
Als ich mich umdrehe, bin ich umzingelt von Touristen. Hach ja, wie habe ich sie vermisst. Entspannt beobachte ich das bunte Treiben, grüße freundlich, bestätige wie schön das Wetter ist: Welcome to Iceland.
Zum Fotografieren versuchen wir den Massen etwas aus dem Weg zu gehen und verlegen unsere Stative abseits des Trubels. Doch dann kommt ein begeisterter Asiate auf uns zugestürmt. Und er bringt Insider-Wissen mit!
Hey guys, I’ve found the perfect spot.
Glücklich sieht er aus. »Really?«, antworte ich ihm. »Yeah, it’s just 200 meters away from here«. Dann holt er sein übergroßes Smartphone aus der Jackentasche und zeigt mir seine Fotos. »From there you have the perfect angle«. Ich nicke und bedanke mich freundlich, während ich mein Gürteltier in den Rucksack stecke.
Ich bin am Fuße des Wasserfalls und suche (wie immer) einen geeigneten Vordergrund. Doch ein anderer Fotograf war schneller als ich und hütet den markantesten Stein im Wasser wie einen Schatz!
Ich frage ihn, ob ich kurz ein Foto ohne seinen Regenschirm machen darf. Er steigt nicht drauf ein; ich dann aber schon: ins Auto. Wir fahren weiter.
Lavafelder – Dimmuborgir
Wir erreichen die Überreste eines Lavasees östlich des Mývatn. Der Herbst präsentiert sich von seiner schönsten Seite – und mit ihm eine Schar von Touristen. Die Kamera bleibt im Rucksack.
Grjótagjá
Wir fahren weiter und finden eine herrliche Badehöhle. Ein Geheimtipp ist sie allerdings nicht. Die Höhle wurde in der dritten Staffel von Game of Thrones als Drehort für die Liebesszene zwischen Jon Schnee und Ygritte verwendet, falls das jemand gesehen hat.
Mit einer Wassertemperatur von 50°C ist die Grjótagjá heute nicht mehr zum Baden geeignet, verboten ist es sowieso.
Das Geothermiefeld Hverir
Und schon sitzen wir wieder im Auto, das echte Island liegt vor uns.
Überall qualmt und zischt es. In der Luft macht sich der bekannte Geruch verfaulter Eier breit. So mag ich Island.
Ein Mix aus Schlamm und Schwefel klebt unter meinen Schuhen. Doch wir sind in einer Region mit vielen heißen Quellen. Ich staune nicht schlecht, als am Straßenrand plötzlich eine Dusche und ein Waschbecken auftauchen. Ideal zum Reinigen der Schuhe.
Checkin – Vogar Travel Service
Heute übernachten wir auf einem Camping Platz. Aber nicht im Zelt, wir haben uns ein kleines Zimmer gemietet (129 EUR pro Nacht). Dafür gibt es aber einen 10%-Rabattgutschein für die hauseigene Pizzeria. Es ist voll, doch wir finden einen Platz neben einem Pärchen aus Boston. »Hi, how are you?« Sie trinken Wein und lassen es sich gutgehen. Ich bestelle eine große Pizza.
Beim Bezahlen lächle ich, denn ich habe ja den 10%-Gutschein. Die Bedienung spricht deutsch: „Wollen Sie noch etwas trinken?“, „Nein Danke, nur die Pizza“. Ich schau auf die Rechnung, gebe die 4600 ISK in den Währungsrechner ein. 37 EUR, da hat sich der 10%-Gutschein echt gelohnt 🙂
Tag 6: Von Reykjahlíð nach Seyðisfjörður
Der Tag beginnt früh, heute fahren wir zum Jökulsárgljúfur-Nationalpark. Als wir ankommen hört es endlich auf zu regnen. Ein durchnässter Besucher nutzt die Chance zum Wechseln seiner nassen Jeans. Verrückt alles.
Dettifoss
Unser erstes Ziel ist der Dettifoss – der energiereichste Wasserfall Europas. Das Wasser stürzt brüllend in die Tiefe, der Boden bebt förmlich. Die Kamera habe ich im Auto gelassen. Der Dettifoss ist ein millionenfach geknipster Fotospot. Ich habe aber ein kurzes Video gemacht, damit du einen Eindruck bekommst.
Der weitere Verlauf der Strecke führt uns offroad. Der Weg ist katastrophal, es geht eine Stunde durch tiefe Schlaglöcher, im Abstand von 50 cm. Mit dem eigenen Auto würde ich hier Schrittgeschwindigkeit fahren, dem Jimny mute ich etwas mehr zu. Dennoch überholt uns ein PKW. Dass der Fahrer mit einem geplatzten Hinterreifen fährt, merkt er nicht mal.
Fotografisch passiert aber nichts mehr. Wir haben Kopfschmerzen von der Buckelpiste. Die Tour hätten wir uns sparen können. Gegen acht erreichen wir Seyðisfjörðurund und checken in unser gemütliches Gästehaus ein.
Luxussorgen: Polarlichter gesucht, Milchstraße gefunden
Es ist spät am Abend und der Himmel ist wolkenfrei! Ideale Bedingungen für Polarlichter, denken wir uns. Wir wollen die Chance nutzen, ziehen uns dick an und fahren in die Berge. Leider gleicht die Beleuchtung des Suzuki Jimny selbst mit Fernlicht nur einer besseren Taschenlampe. Die Suche nach einem guten Fotospot ist damit nicht einfach. Schließlich halten wir an einem kleinen See und richten die Kameras in den Himmel. Es ist so dunkel, dass man die Hand vor Augen nicht sieht. Der Himmel ist sternenklar, Lichtverschmutzung gibt es hier keine. In der Ferne sehen wir graue Schleierwolken, doch es sind keine Wolken. Nach der ersten Langzeitbelichtung wird klar: da steckt grüne Farbe drin. Es sind tatsächlich Polarlichter, aber zu schwach und unspektakulär. Kein Vergleich zu denen, die wir am Anfang unserer Reise gesehen haben. Wir sind enttäuscht. Doch es ist Neumond und die Milchstraße ist perfekt zu sehen, ein dankbares Motiv.
Leider steht sie zu dieser Jahreszeit senkrecht am Himmel. Und natürlich nicht über dem See, sondern auf der anderen Seite. Meckern auf hohem Niveau. Und jetzt geht wieder die Suche nach einem Vordergrund los. Zuerst musste Pino ins Bild.
Zuhause ärgere ich mich, weil ich vor Ort nicht gesehen habe, dass Pino zu weit links steht. Er leuchtet an der Milchstraße vorbei. Zum Glück hatte ich noch ein Bild mit unserem Jimny gemacht. Um die Lichtstimmung zu fördern, habe ich das Licht im Innenraum eingeschaltet.
Wie es weitergeht, erfährst du im vierten und letzten Teil.
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6 Kommentare
Hey Thomas, ich lese deinen Blog mit großem Vergnügen. Danke für die informativen, unterhaltsamen und (gerne auch) selbstironischen Abschnitte. Dazu gefällt mir besonders, dass du auch kritische Dinge anmerkst und nicht alles immer „Hammer!“, “ Krass!“ .. ist.
Hallo Karsten,
danke für dein positives Feedback. Freut mich sehr zu hören, dass es ankommt, was ich hier tippe 🙂
Der Blog ist super! Vielen Dank für den umfangreichen Einblick in die Reise 🙂
Danke Marius 🙂
Moin Thomas,
ich hab da mal ne Frage zu den Milchstraßen-Bildern: Du hast einen relativ hohen ISO-Wert gewählt. Warum? Könnte man nicht ISO 100 nehmen und die Belichtungszeit entsprechend höher setzen? Oder besteht dann die Gefahr, dass die Erde sich weiterdreht und du „Sternschnuppen“ statt Sternen bekommst?
danke dir
Ben
Hallo Ben,
genau so ist es, die Ursache liegt in der Erdrotation. Daraus ergibt sich die maximale Belichtungszeit, in der die Sterne punktförmig bleiben und nicht als Linie / „Sternschnuppe“ abgebildet werden. Diese maximale Belichtungszeit variiert je nach Brennweite und Sensorgröße der Kamera.
Es gibt diverse Berechnungsformeln im Internet, z.B. die klassische 500er-Regel. Ich arbeite meist nach der NPF-Regel, die auch die Anzahl der Megapixel der Kamera einbezieht. Ohne Taschenrechner kann man dazu beispielsweise die App PhotoPills verwenden:
Hier sieht man in meinem Fall, dass die Belichtungszeit maximal 10 Sekunden sein sollte.
Und darauf passe ich dann die ISO-Werte an.
In meinem Beitrag war übrigens ein Fehler, den ich gerade korrigiert habe.
Die Exif-Daten des ersten Fotos mit der Milchstraßen lauten „Nikon D800 – 20 mm, f/2.0, 8 sec, ISO 2.000“ und nicht „10 sec, ISO 800“.
Würde ich da jetzt die von dir angepeilte ISO 100 verwenden, müsste ich mehr als 4x so lange belichten (ISO100->200->400->800->1.600), dann wären es keine Punkte mehr 🙂
Aber so 100% genau muss man die Formeln nicht nehmen. Ich arbeite oft auch mit 20 Sekunden. Wenn man nicht gerade im Vollbildmodus ranzoomt, sieht man den Unterschied kaum.
Gruß
Thomas