Das Trinkverhalten eines Gürteltiers ist dafür prädestiniert, die Blende des Objektivs zu erklären. Wenn ihr euch fragt was gepanzerte Nebengelenktiere mit Fotografie zu tun haben, dann lest diesen Beitrag. Ich erkläre euch was es mit der Blende auf sich hat, was eine Blendenreihe ist und wie diese Zahlen zusammenhängen.
Die Verwirrung ist perfekt
2.8, f/2.8 oder 1:2.8? Alle drei Schreibweisen bezeichnen die Lichtstärke des Objektivs. Doch wofür steht das »f«? Was soll der Slash oder der Doppelpunkt? Mathematik? Bruchstrich? Was wird denn hier geteilt? Und die Zahl wird größer, wenn wir die Blende am Objektiv schließen? Komisch. Warum ist Blende 2.8 doppelt so hell wie 4.0, wenn doch 2.0 nur die Hälfte von 1.4 sein soll? Klären wir gleich …
Was sind das für komische Zahlen?
Diese Zahlen sind dir sicher schon begegnet; sie bezeichnen die Blende des Objektivs. Schauen wir uns ein paar Beispiele an.
Je kleiner die Blendenzahl, desto größer die Blendenöffnung, und um so mehr Licht dringt in das Objektiv ein. Die Belichtungszeit kann damit kürzer sein, als bei einer geschlossenen Blende.
Die Blende bestimmt aber nicht nur die Belichtungszeit, sie ändert auch die Schärfentiefe im Bild. Möchte man ein Gürteltier portraitieren, wählt man eine offene Blende (z.B. f/1.8). In Abhängigkeit von der Brennweite, dem Abstand zum Motiv und der Sensorgröße wird der Hintergrund dann unscharf. Das Gürteltier hebt sich von der Umgebung ab, wenn es im Fokus ist. Bei Landschaftsfotos wird die Blende meist geschlossen (z.B. f/8), um möglichst alle Objekte im Foto scharf abzubilden.
Die Blendenzahl
Wie wir bereits gesehen haben, wird jede Blende mit einer Blendenzahl beschrieben. Wikipedia definiert sie wie folgt:
Die Blendenzahl ergibt sich aus dem Verhältnis von Brennweite zu Öffnungsweite der Optik (Objektiv). Die Lichtstärke des Objektivs entspricht dem Kehrwert der kleinsten Blendenzahl, also der größten relativen Öffnung. Diese wird oft als Bruchteil der Brennweite f, z. B. f/2, (englisch f-stop) angegeben.
Hmm ja, denkt man sich: gut zu wissen. Aber eigentlich weiß man trotzdem nicht, was das bedeutet. Oder ist es dir sofort klar? Also der Reihe nach. Nehmen wir ein Beispiel:
Blende f/2.8
2.8 ist die Blendenzahl. Ganz vorn ist ein kleines »f«. Es steht für die Brennweite des Objektivs. Die Brennweite ist das, was die meisten Menschen unter dem »Zoom« verstehen: also die Möglichkeit, dass was man fotografieren möchte näher ranzuholen (Teleobjektiv, z.B. 200 mm) oder möglichst viel aufs Bild zu bekommen (Weitwinkelobjektiv, z.B. 24 mm). Der Bruchstrich gibt nun an, dass die Blende in Relation zur Brennweite steht. Es gibt da also einen Zusammenhang. Nehmen wir uns ein Teleobjektiv mit 200 mm Brennweite zur Hand. Wenn wir dort Blende 2.8 einstellen, bedeutet es:
200 mm Brennweite geteilt durch 2,8
Die Öffnung der Blende beträgt damit also rund 71 mm im Durchmesser. Es ist eine Menge Glas notwendig. Das erklärt auch, warum Objektive mit sehr offenen Blenden so breit, schwer und teuer sind. Bei Blende 4 wäre die Öffnung vom Objektiv nur 50 mm im Durchmesser: weniger Glas, weniger Gewicht, weniger Kosten.
Die Blendenreihe
In diesem Zusammenhang wird oft von Blendenreihen gesprochen. Das Gürteltier kann aber nicht sprechen und hat auch bei mathematischen Formeln seine Schwierigkeiten. Es ist aber clever und hat die Blendenreihe einfach auswendig gelernt. Das solltest du — als ambitionierter Fotograf — auch machen. Hier ist sie:
1 -> 1.4 -> 2 -> 2.8 -> 4 -> 5.6 -> 8 -> 11 -> 16 -> 22 -> …
Liest man die Zahlen nach rechts, halbiert sich jeweils die Lichtmenge zum Nachfolger. In die andere Richtung verdoppelt sich das Licht. Blende 2.8 ist also doppelt so hell wie Blende 4. Bei Blende 5.6 strömt dagegen nur halb so viel Licht ein, wie es bei Blende 4 der Fall wäre. Die Blendenreihe ist ein sehr nützliches Tool. «Mach mal ne Blende heller», hört man sie oft rufen: die Fotografen — nicht die Gürteltiere, sonst würde ich mir an eurer Stelle Gedanken machen.
Erklärung am Trinkverhalten eines Gürteltiers
Kommen wir zu einem anschaulichen Beispiel und vergessen wir die Theorie. Licht ist die Grundlage der Fotografie. Dem Gürteltier ist das aber egal. Es hat weder eine Spiegelreflexkamera, noch ein Smartphone. Gewiefte Leser vermuten jetzt: ein Gürteltier fotografiert mit spiegellosen Systemkameras. Weit gefehlt. Es hat nur ein Interesse: die Nahrungssuche. Das Gürteltier braucht Wasser, um in der Sonne nicht zu verdursten.
Was hat das mit Fotografie zu tun?
Eine berechtigte Frage! Es ist der Rüssel vom Gürteltier. Er hat ein starke Ähnlichkeit mit der Blende vom Objektiv.
Zugegeben, es braucht ein wenig Fantasie und ich hab vielleicht auch nicht alle Tassen im Schrank. Aber lass mich meine Gedanken bitte fortführen. Die Öffnung vom Rüssel ist (fast) rund: genau wie beim Objektiv. Das Objektiv nimmt Licht auf; das Gürteltier Wasser. Der Rüssel lässt sich unterschiedlich weit öffnen — genau wie die Blende. Und je nach Größe der Öffnung strömt viel oder wenig Wasser ein (vgl. Licht beim Objektiv).
Konkretes Beispiel: Blende vs. Gürteltier
Machen wir die Sache noch verständlicher. Das Gürteltier zieht los, weil es durstig ist. Es findet einen kleinen Bach und steckt genüsslich den Rüssel rein.
Das Gürteltier braucht 200 ml Wasser, um in der Mittagshitze nicht zu vertrocknen. Doch es hat ein Problem: sein Fleisch wird von uns Menschen teilweise als Nahrungsressource genutzt. Manche Skelettteile werden sogar als handwerkliche Rohstoffe verwendet. Das Gürteltier muss also aufpassen. Es kann beim Trinken nicht in den Genießermodus schalten (Programmautomatik der Kamera) und entspannt die Augen schließen. Es muss flink sein und in möglichst kurzer Zeit die benötigte Menge Wasser aufnehmen. Sonst ist es angreifbar und könnte im schlimmsten Fall getötet werden.
Nun denk an deine Kamera. Stell dir vor, die 200 ml Wasser wären die erforderliche Menge an Licht, die du für ein korrekt belichtetes Foto brauchst. Gürteltiere sind wie Objektive, es gibt sie in verschiedenen Ausprägungen und Qualitätsstufen.
Beispiel 1: Das adlige Gürteltier Ingrid
Ingrid ist ein Luxusgürteltier. Es hat reiche Eltern, die ihr eine 1.4er Rüsselöffnung vererbt haben. Durch ihren Rüssel fließen 50 ml Wasser, pro Sekunde! Wow. Ingrid setzt an, zieht kräftig und nach vier Sekunden ist ihr Durst gelöscht. Flink wie sie ist, macht sie sich wieder aus dem Staub.
Beispiel 2: Das arbeitslose Gürteltier Tatu
Tatu hat es schwer im Leben. Er hat seine Fotografieausbildung abgebrochen und lebt seitdem von Arbeitslosengeld 2. Von einem 1.4er Rüssel kann er nur träumen. Er blickt traurig nach unten, doch so sehr er sich bemüht, weiter als 5.6 bekommt er seinen Rüssel nicht geöffnet. Doch auch er muss trinken. Im Vergleich zu Ingrid braucht er durch seine engere 5.6er-Rüsselöffnung aber 16x so lange, um die 200 ml Wasser zu trinken:
Rüssel / Blende | Zeit (in Sekunden) |
---|---|
1.4 | 5 |
2.0 | 10 |
2.8 | 20 |
4.0 | 40 |
5.6 | 80 |
Tatu denkt sich aber: »was solls, dafür muss ich nicht arbeiten und kann jeden Tag ausschlafen«. Er schließt seine Augen. Das herrlich frische Wasser schießt durch seinen Rüssel. Nach einer Minute ist er fast am Ziel und dann dass …
Tatu wird gefangen. Er war einfach zu langsam.
Die gute Nachricht ist: Tatu lebt im Zoo Halle. Er wurde nur gefangen, weil Ingrid schwanger ist. Tatu hat bereits 14 Kinder, 13 Enkel, 11 Urenkel und 3 Ururenkel. Er muss daher nur temporär in ein anderes Gehege umziehen. Nochmal Glück gehabt.
Fazit
Die Blendenzahl steht immer unter einem Bruchstrich. Je größer die Blendenzahl, desto kleiner wird die Blendenöffnung: Bruchrechnung eben. Beim Fotografieren kannst du sämtliche Mathematik vergessen, wenn du die Blendenreihe verinnerlicht hast. Also lern sie auswendig und wende sie an.
Mit dem Trinkverhalten vom Gürteltier wollte ich den Bezug zwischen Blende und Verschlusszeit anschaulich machen. Mit jeder vollen Blende verdoppelt oder halbiert sich das einfallende Licht im Objektiv. In der Fotografie kommt natürlich noch ein dritter Parameter dazu: der ISO-Wert. Aber das ist ein anderes Thema …
Wenn dir der Vergleich mit dem Gürteltier gefallen hat und du weitere Beiträge dieser Art lesen möchtest, dann schreib es mir in die Kommentare.
5 Kommentare
Na auf die Idee muss man erstmal kommen. ABER danke dafür, sollte man nun begriffen haben😉👍🏻
Ein Gürteltier schadet nie :-p
Sehr gut beschrieben 😀
Grosses Lob Thomas, selten so ein eine pragmatische, witzige, sehr einfallsreiche und ohne viel Drumherum-Gedöns Erklärung gelesen. Ganz wunderbar, tausend Dank! 😆
Danke Bernadette, freue mich über dein Feedback, zu diesem alten Blogbeitrag 🙂
Schönes Wochenende – die Sonne scheint heute, also abblenden 😉
Gruß
Thomas